Ideen für den Arbeitsmarkt (Oder: Wie Ein-Euro-Jobber die Welt retten könnten)

Zwischen den Kategorien Zeit und Geld bestehen seltsame Beziehungen. Meine Bekannten klagen seit Jahren: “Als Student hatte ich viel Zeit, aber kein Geld zu reisen. Heute habe ich Geld, aber keine Zeit mehr.” Ich dagegen habe auch keine Zeit, aber das kostet Geld.

Beispiel: Im Januar wurde uns der Mietwagen in Südafrika geknackt, eine Scheibe war eingeschlagen. Der Wagen war vollkaskoversichert, aber ich finde keine Zeit, die 48,73 Euro, die mir der Verleiher vorab in Rechnung stellte, bei der Versicherung einzufordern. Mittlerweile ist es wohl zu spät dazu.

Dann wollte ich neulich am Automaten der Stuttgarter Verkehrsbetriebe eine Mehrfahrtenkarte lösen, aber das Gerät spuckte einen Einzelfahrschein aus. Der war schon entwertet, wie das so üblich ist, was mich ärgerte, weil ich bereits für die Fahrt abgestempelt hatte. Im Service-Zentrum wollte ich mir das Geld zurückholen, erfuhr aber, dass für den besagten Automaten “die Bahn zuständig“ sei. Mein Besuch in den Fahrscheinverkaufshallen des Bahnhofs scheiterte, weil der einzige freie Schalter solche Fälle nicht abwickelte. An den anderen zehn standen aber für meinen Geschmack zu viele Leute. Ich schrieb die 2,80 Euro in den Wind.

Den Berliner Verkehrsbetrieben habe ich 3,60 Euro geschenkt, weil ich am Flughafen ein Tagesticket für die Busse und Bahnen löste, letztlich aber nur einmal gefahren bin. Hätte ich mehr Zeit gehabt, ich hätte besser geplant und gewusst, dass ich meistenteils zu Fuß gehen würde.

Am Flughafen brauchte ich noch einen Schlips für die Abendveranstaltung, und um diverse Herrenausstatter abzuklappern, fehlte mir die Zeit. Nun sind Krawatten an Flughäfen nicht ganz billig. Wieder 30 Euro fürs Wirtschaftswachstum.

Macht inzwischen schon 85 Euro.

Dass ich, wenn ich Bahn fahre, immer spontan die Fahrkarten kaufe, obwohl ich die Kosten durch Vorausbuchungen deutlich senken könnte, erwähne ich am Rande. Ich habe so viel zu tun und so wenig Zeit, dass ich immer auf den letzten Drücker fahre. Komischerweise weiß ich nie vorher, wann dieser “Letzte drückt” … Vielleicht lässt sich mein Konsumverhalten auch mit einem grundsätzlichen Optimismus erklären: Ich hoffe immer, dass ich einen Zug eher erwische. Und wenn ich den nähme, wäre das im Voraus gebuchte Ticket nicht gültig und der ganze Betrag verraucht. Diese optimistische Zeitverschätzung hat mich in diesem Jahr bereits 400 Euro gekostet.

Rausholen wollte ich die Kosten durch das Super-Sommer-Sonderangebot der Bahn bei Lidl. Leider gab es am ersten Verkaufstag bereits um 8.30 Uhr in den umliegenden Filialen keine Fahrscheine mehr. Hätte ich Zeit gehabt, wie die Ebay-Wiederverkäufer oder die wirklichen Schnäppchenjäger, ich hätte um 5.15 Uhr in der Schlange gestanden und sechs Hin- und Rückfahrkarten gekauft. Pro Doppelticket für 49,90 Euro. Selbst mit Bahncard 50 kosten mich manche Strecken das Doppelte. Sechs Mal 50 Euro nicht gespart, sind schon wieder 300.

Ein-Euro-Jobber retten die Welt

Oder neulich, als die Fotos für eine Titelstory schnell entwickelt werden mussten, weil ich den Gesprächspartner erst zwei Tage vor Druck vor die Linse bekam: Da hat mich der Schnellservice für den Film 31,90 Euro gekostet – statt fünf Euro, wenn man es hätte billig machen lassen. Sind schon wieder 27 Euro zu viel. Nur weil die Zeit drängte.

Dass die Stuttgarter Zahnärzte etwa 50 bis 100 Prozent teurer sind als zum Beispiel die Bonner, liegt daran, dass sie hier “sonst nicht wirtschaftlich arbeiten können”, wie mir einer versicherte. Soll wohl heißen, sonst können sie sich keine fünf Häuser leisten.

Wer in Stuttgart wohnt, zahlt drauf. Aber das nur nebenbei.

Die beste Inspiratorin von allen will noch ergänzt wissen, dass sie ihr halbes Lebensmittel-Budget an Tankstellen verjubelt, weil sie zu den gesetzlichen Ladenöffnungszeiten nicht in den Supermarkt kommt.

Ein paar Monate vor den vielleicht nächsten Bundestagswahlen gebe ich folgende Idee zur Übernahme in alle Wahlprogramme frei: Wenn jeder, dem es ähnlich geht wie mir, und das dürften einige Millionen Menschen sein, einen Ein-Euro-Jobber an seine Seite bekäme, wäre der Staat saniert. Sie könnten zum Beispiel für mich anstehen oder in Telefonschlangen warten, hätten mehrere Stunden Beschäftigung am Tag und würden sich durch das Geld, das sie mir sparten, locker refinanzieren.

Für die 48,73 Euro von der Mietwagenversicherung wäre im besten Fall nur ein Telefonat erforderlich. Selbst wenn wir von einer Stunde Arbeit ausgehen und der Stundenlohn bei zwei Euro läge, was ja nur anständig wäre, holte dieser Euro-Jobber 46,73 Euro herein. Davon könnten großzügige zehn Euro ans Arbeitsamt oder an die Kommune gehen. Mir blieben immer noch über 34 Euro übrig. (Mit dem Faktor fünf darf man die Bürokratie schon unterstützen, finde ich. Schließlich beschäftigen sich mindestens fünf Beamte mit meinem Sklaven, und der Staat soll angemessen bezahlt werden. Vielleicht baut er eines Tages Kindergärten davon. Und wer weiß, ob ich die nicht auch mal brauche.)

Überhaupt finde ich, ist gegen die moderne Auflage römischer Zustände nichts zu sagen. Als ich neulich schwitzend die “Stäffele“ eines Stuttgarter Hanges hochtrabte (so heißen hier die steilen Treppen in den Villenvierteln, die sogar Straßennamen tragen), dachte ich, och, so ein Ein-Euro-Jobber, der könnte doch jetzt gut meinen Rollstuhl schieben … Zum Beispiel von den übrigen 34 Euro. Rechnen wir wieder zwei Euro für ihn und zehn fürs Amt, verblieben mir immer noch 22 Euro.

Mein Bad müsste auch mal wieder geputzt werden. Zwei Euro hin, zehn im Sinn, und ich könnte meinen Nichten anschließend sogar noch ein Eis kaufen.
Aber ich befürchte, mich fragt wieder keiner.

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Bild: Erik Liebermann