Künstler neigen dazu, sich von ihren Familien inspirieren zu lassen. Ephraim Kishon zitierte gerne die „beste Ehefrau von allen“, Reinhard Mey besang den Kreis seiner Lieben, der ihm vorschlug, über „… die Gen-Tomate / Und Silikonimplantate / Über die Haushaltsdebatte / Über die alte Fußmatte / … den Verfall der Normen / und die Rechtschreibungsreformen“ ein Lied zu schreiben.
Auch Journalisten, das ahnt man schon, lassen sich von Familie und Freunden inspirieren. Die beste Inspiratorin von allen ließ sich kürzlich über das Punktesammeln beim Einkaufen aus. Das ist inzwischen so verbreitet, argumentierte sie, dass viele längst mehr Tankstellenrabattheftchen, Supermarktkundenkarten, Bäckereistempelblättchen oder Very-important-Füße-Marken mit sich herumtrügen als EC- und Kreditkarten, Miles-and-more- und Bahncards, Krankenversicherungs- und Jugendherbergsausweise.
Und auch das waren in den letzten Jahren schon viele.
Viele Freunde und Kolleginnen verwenden inzwischen einen Großteil ihrer Nettogehälter für Accessoires, weil sie sich alle drei Monate eine größere Brief- oder Handtasche zulegen müssen, um all das Plastik unterzubringen. Immerhin kurbeln sie so die Wirtschaft an.
Worüber sich die beste Inspiratorin von allen (die auch so eine Geldzurück-Karte im Geldbeutel hat) ärgerte, war eine E-Mail, die dieses Karten-Konsortium ihr neulich schickte. „Für Ihre 6300 Punkte erhalten Sie diese tolle Stereoanlage“, stand da groß und bebildert zu lesen, was ihr entgegen gekommen wäre, da ihre gerade kaputt ist. Erst weiter unten wurde ihr erklärt, sie habe 400 Punkte, benötige für eine Prämie aber mindestens 1000 Punkte. Von 6300 Punkten gar nicht zu reden. Die Stereoanlage rückte in weite Ferne.
Was näher rückt, ist die gläserne Konsumentin. Und was erstaunt, ist die schwache öffentliche Kritik gegen diese Punktemafia [Anmerkung 2020: Das stellte der Autor 2005 fest, hat sich aber bis heute null geändert]. Kein Vergleich zum Aufschrei der Linken und Datenschützer (..) zur Volkszählung 1987. Als Volkszähler kam ich damals in viele Haushalte, die nicht mitmachen wollten oder die nach Bleistiften im Dutzendpack fragten, um den Staat zu schädigen. (Die Volkszähler trugen diese Stifte mit sich herum, weil die Zählung nicht daran scheitern sollte, dass ein Haushalt kein Schreibgerät zum Ausfüllen hatte.)
Weil sie auch nicht daran scheitern sollte, dass jemand die Fragen nicht lesen könnte, füllten wir viele Bögen vor Ort aus. Und haben, als Protest gegen das System, vieles frei erfunden. Im Vergleich zu den Kundendatensammlern von heute war die staatliche Aktion ziemlich naiv.
Unterwanderung von links
Okay, auch ich habe zwei Rabattkarten. Eine vom Bäcker, bei dem ich nach zehn Über-fünf-Euro-Einkäufen als Treuebonus ein Brot meiner Wahl erhalte. Und eine vom Friseur, der mir auf den zehnten Haarschnitt 30 Prozent Rabatt gewährt. Aber Geld-zurück-Karten? Kämen mir nicht ins Portemonnaie.
Dachte ich. Bis mir die beste Inspiratorin von allen von ihrer elektronischen Werbepost erzählte. Dann besann ich mich auf die Volkszählerzeit und beschloss, das System zu unterwandern. Für meinen Freundeskreis und meine Familie habe ich nun zehn Geldzurück-Karten angeschafft, die wir bei jedem Treffen munter austauschen.
Karneval in Köln, ich überreiche Freund A Karte eins, reise selbst mit Karte zwei weiter nach Hamburg, wo Freundin B diese im Austausch gegen Karte drei erhält. Ostern wechselt sie auf Sylt den Besitzer und wird von der Oma des Ex-Kollegen von A während ihrer Kur eingesetzt. Karte vier wandert inzwischen nach München zur Großtante des Kölner Kontaktmannes. Karte fünf reist mit mir zu Schulfreunden nach Berlin, die sie für drei Wochen behalten, während ich mit Karte sechs nach Stuttgart fahre. Und so fort.
Wir entschieden, immer bei einer bestimmten Tankstellenkette zu tanken und in jeder Stadt, wenn möglich, Schokolade und Schuhe in einem bestimmten Kaufhaus einzukaufen. Außerdem mieten wir unsere Autos immer bei demselben Anbieter, der dem System angeschlossen ist. In zwei Jahren, so unser Plan, wollen wir gemeinschaftlich entscheiden, welche Prämie wir für die Punkte haben wollen und diese dann einem gemeinnützigen, bedürftigen Verein spenden. Vielleicht im Bereich Hauswirtschaft?
Doch schon mehren sich egoistische Stimmen: „Man könnte doch die Coupons sammeln, die wir ständig per Mail erhalten“, wie „Bei Ihrem nächsten Einkauf bei Real bekommen Sie die fünffache Punktzahl“ oder „Doppelte Punktzahl für jeden Einkauf bei Obi vom 1. bis 5. Februar“. Die beste Inspiratorin von allen schlägt einen Kompromiss vor: Wir mieten uns einen Fünftonner bei Europcar, weil das doppelte Punktzahl bringt, und können so die seit dem Sommer hinausgezögerten Einkäufe bei Real, die heute auf einen Schlag 8000 Punkte brächten, nach Hause transportieren. Und dann laden wir ganz Hamburg, Stuttgart und Berlin zum Essen ein. Nach Köln.
Doch die Ereignisse überschlagen sich. Seit drei Wochen überlegt unsere Tankstellenkette, in Köln, München und auf Sylt neben Reinhard-Mey-CDs auch Badeschuhe der Schuhgröße 41 anzubieten. Unser Autovermieter hat überregional die bevorzugte Schokoladensorte der geschiedenen Frau des Ex-Freundes der Kollegin C ins Programm genommen. Spätestens wenn der Schuhhändler in allen Orten Kishon-Bücher führt, ist unsere Mission erfüllt und wir werfen die Karten weg.
Ach ja, ich selbst bekam neulich Post von einem Immobilienmakler. Ihm wurden meine persönlichen Daten zur Verfügung gestellt. Ob ich ihm nicht meine [nicht vorhandene] Stuttgarter Wohnung verkaufen wolle? Er wolle eine Rehaklinik für vielreisende Leihwagenfahrer einrichten, mit Kishon-Bibliothek und intakter Stereoanlage. Dafür könne er mir ein voll ausgestattetes Wohnbüromobil andienen, denn offensichtlich lebte ich jeden Monat in einer anderen Stadt.
(Text: Thomas Preuß, Bild: Erik Liebermann)