(Begegnung mit einem Staubsaugervertreter)
Neulich kam ein Vertreter: “Guten Tag, wir machen gerade ein Gewinnspiel hier im Viertel. Was könnte das denn sein?” Bevor ich mich’s versah, hielt er mir eine kleine, schlechte Kopie vors Gesicht. “Keine Ahnung”, sagte ich. “Vielleicht ein Saugroboter?” – “Vielen Dank. Darf ich ihre Telefonnummer wissen? Falls Sie gewinnen?” Netter Versuch!
Tags darauf klingelt das Telefon. “Hallo Herr Preuß, Sie haben neulich auf einer Karte ein Kreuzchen gemacht. Sie haben gewonnen!” – “Wie schön. Was denn?” – “Etwas aus unserer Haushaltskiste. Unser Herr Kaiser* bringt es Ihnen vorbei. Wie wär’s heute Nachmittag?” – “Da bin ich nicht da.” – “Morgen?” – “Na gut.” – “Prima. Herr Kaiser führt Ihnen dann noch das Gerät vor.” – “Was ist es denn?” – “Das weiß ich auch nicht.”
Das Geschenk ist eine Tube Lederfett; das Gerät kein Saugroboter, sondern “der Kirby”. “Schon 1914 erfunden und einzigartig auf der Welt”, wie Herr Kaiser am Tage X versichert. “Über 60 Funktionen hat er. Sie werden nicht glauben, was Sie gleich sehen.”
Während Herr Kaiser das Multifunktionsgerät zusammenschraubt, stellt er eine Beziehung her: “Sie haben aber eine schöne Wohnung. Fernseher. Mhm. Stereoanlage. Sofa. Ja. Alles da. Sehr schön”, oder “Wie lange wohnen Sie denn schon in Stuttgart”, “Was machen Sie beruflich?” Ich sage, ich sei Journalist und spezialisiert auf Technik und Haushalt. Er ist ohne Argwohn. “Sie können aber schnell schreiben”, findet er nur, als ich mir Notizen mache. “Na, bringt wohl Ihr Beruf mit sich.”
“Hier vorne ist eine Lampe dran”, sagt er beim Montieren. “Damit können Sie im Winter auch im Dunkeln saugen, ohne das Licht anzumachen.”
Ich lasse das unkommentiert. “Welche Funktionen hat denn Ihr Kirby?”, will ich stattdessen wissen. – “Über 60. Ich kenne die selbst gar nicht alle. Sie können ihn auch als Kompressor benutzen. Oder im Garten. Nicht? Ja. Sehr schön.” Einen Staubsauger im Garten? “Als was denn?” – “Ja, wie gesagt, auch im Garten. Ganz praktisch. Nicht! Wie gesagt.” – “Aha. Aber als was?” – “Zum Beispiel, also, im Haus und im Garten. Auch als Kompressor. Ja. Sehr schön.” Er redet schnell, sagt aber nichts. Ich hake nicht weiter nach. “Oh, das ist ja schön!”, sage ich.
Das Gerät ist vor allem ein Sauger – mit tiefenreinigender Wirkung auf Teppichen und Polstern. Leider habe ich nur Laminatboden. Also hole ich einen alten Läufer aus dem Keller. “Von meiner Oma”, sage ich. “Wie alt ist er denn?”, fragt Herr Kaiser. “Weiß ich nicht, bestimmt 40 Jahre und sicher noch nie besaugt.”
Ich muss meinen eigenen Sauger zur Verfügung stellen, der außer 1300 Watt nicht viel zustande bringt. “Unser Kirby hat nur 580 Watt, saugt aber sicher besser.” – Das glaube ich sofort. “Er hat ja auch eine Bürste, und elektrische Energie lässt sich leichter in eine mechanische Drehbewegung umsetzen als in Saugenergie.” Irgendein Besserwissi reitet mich. – “Oh”, sagt Herr Kaiser. – “Ich habe über Saugroboter geschrieben”, erkläre ich, “die haben zum Teil nur 20 Watt und sind auch besser als mein 1300-Watt-Gerät.” – “Ja, sehen Sie, da können Sie viel Energie sparen. Das ist ein Vorteil unseres Kirbys. Der ist einzigartig in der Welt. Ich habe ihn auch.”
Herr Kaiser macht sich ans Saugen. Mit einem kleinen Vorführfilter statt Tüte. Nach fünf Sekunden wechselt er den Filter, zeigt mir eine millimeterdicke Staublage. “Unglaublich, oder?” – “Unglaublich”, bestätige ich. Er legt den Filter auf den Esstisch und führt den nächsten ein, saugt fünf Sekunden, zieht ihn raus. “Schauen Sie mal, unglaublich, oder? Wie schön der Teppich Ihrer Oma wieder wird.” Er legt den zweiten Filter auf den Esstisch. Nach fünfzehn Filtern frage ich, ob er nicht einfach mal zu Ende saugen will, statt ständig die Filter zu wechseln. “Nein, das Schauglas würde den Druck nicht aushalten.” Stattdessen halte ich den Anblick der Filter nicht aus. Honi soit qui mal y pense! Ich warte ab.
Er macht 45 Filter voll. “Das liegt gar nicht an Ihnen, dass das so viel ist”, tröstet er. “Sie können auch nicht besser saugen als eine Frau.” – “Wie bitte?” – “Oder als Ihr Staubsauger”, schlägt er vor.
Dann nimmt er sich des Sofas an. Zwischendurch flicht er ein, das Gerät koste in der Profiausstattung “mit Messgeräten” über 5000 Euro. Ich denke, er spinnt. “Was kostet es denn für mich?”, frage ich. “Nur 50 bis 60 Euro im Monat. Die könnten Sie auch mir auszahlen, wenn ich hier putzen würde. Aber dann zahlen Sie lebenslang.” – “Und wie lange zahle ich, wenn ich das Gerät kaufe?” – “Dazu kommen wir später.”
Meinetwegen, ich bin ja noch jung. “Wir haben’s bald”, verspricht er nach zwei Stunden. “Jetzt kommt noch der Hammer, und dann der Oberhammer.” Der “Hammer” ist nach drei Stunden das Schamponiergerät für den Teppich (der jetzt supersauber im Keller liegt). Der “Oberhammer” wandelt sich nach vier Stunden zum “Zaubertrick”. Dafür braucht er meine Matratze. “An dieser Stelle zögert kein Kunde mehr”, sagt er siegessicher. “Deshalb kaufen sieben bis neun von zehn Leuten nach der Vorführung das Gerät.” Als er die Matratze abgesaugt hat und den Filter öffnet, kommt mir – huch! – erneut viel Staub entgegen. “95 Prozent Schimmel”, sagt er, auch wenn das gelogen ist. “Und fünf Millionen Hausstaubmilben und Milbenscheiße. Wollen Sie darauf wirklich schlafen?” Ich will.
Er fackelt die Milben mit einem Feuerzeug ab und hält es mir hin, um dran zu riechen. “Ich verzichte lieber”, sage ich, “ich habe nämlich eine Hausstauballergie!” – “Soso. Sehen Sie mal …”, er zeigt mir Milben- und Krankenbilder, “davon können Sie Allergien bekommen, Neurodermitis, und das ist sogar schlimmer als Nikotin. Was Sie davon bekommen, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen.”
Dann zeigt er Abbildungen mit Zubehör, wie Kunststoffdüsen oder Bürsten. “Wenn die Profiausstattung 5000 Euro kostet, was kostet dann wohl alles zusammen, was Sie hier sehen?” – “WENN das 5000 Euro kostet”, sage ich, “ist das ganz schön teuer. Die Kunststoffdüsen kosten in der Herstellung fast nichts, und die Messgeräte?! Die können nur 100 oder auch 3000 Euro kosten. Alles zusammen dürfte sicher nicht mehr als 2000 Euro kosten.”
“Also, aber Sie meinen doch auch, dass dann alles 5000 bis 6000 Euro kosten müsste. Oder 7500?”
“Ich sagte ja, je nachdem, was die Messgeräte kosten. Aber die 5000 Euro Ausgangsbasis stimmen ja gar nicht. Mehr als 3000 Euro …”
“Also meinen Sie auch 5000. Sehen Sie. Und manche sagen sogar, wenn ich ihnen das zeige, 10000 oder 15000 Euro. Und jetzt werden Sie staunen: Unser Gerät kostet in der Luxusvariante nur 2955 Euro.”
Er lässt es wirken.
“Und in der Grundausstattung sogar nur 2400 Euro.”
Ich schaue ihn bedauernd an. “Tja. Und genau das ist mir leider viel zu viel.”
“Das sind nur 2 Euro am Tag”, rechnet er vor.
“Ja, aber für fünf Jahre”, rechne ich nach. “Macht über 700 Euro im Jahr und insgesamt weit über 3500 Euro.”
“So dürfen Sie das nicht rechnen. Soll ich das so aufnehmen? Wir haben eine gute Finanzierungsbank im Hintergrund. Wollen Sie 56 Euro im Monat – oder könnten Sie auch 70 bezahlen?”
Ich will es gar nicht.
“Es gibt drei Arten Kunden”, erklärt er ungerührt. “Die einen kaufen es, weil sie den Staub gesehen haben. Die zweiten, weil sie sagen, ‘Meine Frau soll nicht umsonst arbeiten’ – denn die Arbeit mit einem normalen Sauger ist ja praktisch umsonst. Und die dritten sagen, das Geld zahlen sie sowieso, wenn sie alle sieben bis acht Jahre einen neuen Staubsauger kaufen und neue Matratzen. Die brauchen Sie ja dann nicht mehr. Denn unser Gerät hält 30 Jahre!”
Das stimmt allerdings nicht ganz, wie ich dem Prospekt entnehme. Die Ersatzteilversorgung wird für 30 Jahre zugesichert; die Garantiefrist liegt aber nur bei drei Jahren.
Wie auch immer. Herr Kaiser hat die vierte Gruppe vergessen. Das sind die, die den Kirby gar nicht kaufen.
Auch nicht für 2150 Euro, sein letztes Angebot.
Die vierte Gruppe kauft nicht, weil sie kein Geld hat.
Oder, wie ich, keinen Teppich.
Dafür habe ich nun eine Kolumne.
Journalisten können so gemein sein.
(* Name fairerweise geändert)
Copyright: Thomas Preuß, HuW 2/2004